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Dienstag, 22. Mai 2007

Wie wird man Fan? Teil 2: The Beatles


Heiß- und/oder Kaltgetränk

Letztes Jahr sah ich den wunderhübschen Film „Paul is dead“, der einen Vorpubertierenden im Jahre 1980 in einer norddeutschen Kleinstadt zeigt, der sich an der irren These des vorzeitigen Heimgangs Paul McCartneys abarbeitet – und an seiner ersten Liebe. Dieser naive Elfjährige Beatles-Addict – das war ich!
Und so fingt das an: Es war 1978, Osterferien, und meine Eltern wollten den Kindern, also uns, was bieten. Die beiden Geschwisterchen fuhren mit den „Elts“, wie sie spaßeshalber sagten, im roten, gepanzerten Volvo, festgezurrt durch Römer-Kindersitze, nach Norderney. Dort sollte es in der „Pension Justitia“ zum „Abendbrot“, wie es handschriftlich auf einer Tafel notiert war, immer zwei verschiedene Wurstsorten geben – immer dieselben zwei. Das weiß ich noch. Sehr eingeprägt hat sich mir aus dieser Zeit auch der Satz „Jeder ein Heiß- und/oder Kaltgetränk“, ausgesprochen vom Wirt des Vereinsheims TSV Lehndorf – „Verööäaanshöäim“ wie man in Braunschweig sagt – aus Anlaß der Feierlichkeiten zum tausendjährigen Bestehen dieser sportlichen Trutzburg. Schon früh dünkte mir diese Sentenz irgendwie krumm und/oder leicht daneben, aber erst Jahre später erkannte ich ihre logische Unwucht: „Und/oder“ war unsinnig, ein „oder“ hätte vollkommen gereicht.

Zurück nach Norderney. Papa lenkte, wir zankten, das Radio lief und ich hörte zum ersten Mal die Beatles, die ich zwar vom Namen her schon kannte, aber nicht so richtig zuordnen konnte: „She loves you, yeah, yeah, yeah!“ Ich war begeistert. Seitdem, seit April 1978, dem Jahr der Schmach von Corduba, bin ich Beatles-Fan. Naiv, unverbildet, gläubig und gnädigerweise unreflektiert. Denn Beatles-Musik ist Kindermusik.

Vorher kannte ich eigentlich nur Freddi Quinn. Ich hatte auch just meinen Cello-Unterricht aufgenommen. Denn es war die Zeit, in der ein Junge aus gutem Hause ein klassisches Instrument umgebunden bekam und als erste Fremdsprache Latein. Latein war grauenhaft, erst lief es noch einigermaßen rund, immer schön drei minus, aber dann begannen, spätestens ab 1982, die dunklen Fünfer-Jahre. Meinem Sitznachbar Ecki ging es noch dreckiger, er umzottelte sich mit einen „Schieß doch Bulle“-Parka und trug lange und, nunja, „ungepflegte“ Haare. Das provozierte ungemein. In Geschichte aber war ich richtig gut. Mein Geschichtslehrer bekannte sich zu General Ludendorff und schrieb Bücher über Einzelkämpfer im Atlantik; Bücher, die allesamt die These variierten, dass sich der deutsche Landser im Allgemeinen durch außerordentliche Tapferkeit und der Einzelkämpfer im Atlantik im Besonderen durch heldenhafte Ritterlichkeit ausgezeichnet hätte. Und das hätte ja auch der Feind anerkannt. Ein Glück, das ich nicht auf eine integrierte Gesamtschule mußte. Auf welch‘ ideologisch schiefe Bahn wäre ich sonst geraten!

Sorry. Wo war ich stehengeblieben? – Die erste musikalische Prägung, richtig, ist entscheidend. Man entkommt ihr nicht. Ich lernte mit den Beatles die Töne singen, die Gefühlsskala kennen und ein lautmalerisches Phantasie-Englisch. Ich las das „Beatles Songbook“ von Alan Aldridge, ohne die Texte zu verstehen und prägte mir Liedzeilen ein, die meine Hirnzellen bis heute blockieren. Löschen impossible. Als erste Amtshandlung erquengelte ich mir auf Norderney das „Rote Album“, das als „Doppel-MC“ dem mitgebuckelten Nordmende-Recorder einen Nonstop-Belastungstest unterzog. Einen Geburtstag später, im Januar 1979, inhalierte ich die Beatles-Biographie von Hunter Davies, ein wunderschönes Märchenbuch ohne Drogen, Suff, Lennons Jesus-Vergleiche, Groupies und Orgien. Davies steckte die „Pilzköpfe“ noch 1968 in ihre frühsechziger Stehkragen-Anzüge und hielt alles Böse von meinem taschenlampengestärkten Auge fern. Auch so ein ewig elfjähriger Fan eben, der Hunter.

Leider erreichte Paul McCartney seien kreativen Zenit schon 1966, mit dem notwendigen Korrektiv John Lennon an seiner Seite, und danach hätte er eigentlich aufhören müssen (wenn er da nicht sogar tatsächlich verstarb). So wie Lothar Matthäus, der 1990 von einem Doppelgänger ersetzt wurde. Habe ich 1966 gesagt? Ja, richtig. „Revolver“ 1966 war die Revolution der Popgeschichte, nicht „Sgt. Pepper“ - auch wenn das mittlerweile keine revolutionäre These mehr ist. Danach kam Brian Wilson und schuf mit seinen Strandjungs „Pet Sounds“ - und dann, ja dann erst kam „Sgt. Pepper“. Im Sommer der Liebe 1967. Aber wem erzähl ich das...

Aus: Bitter Lemmy. Wehrhahn, Hannover 2001.

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